„Architektur mit Blick auf den Bestand” – Schrammel Architekten im Interview

Architekten.de Redaktion     |     Aktualisiert am: 8. Dezember 2020
Lesezeit:  Minuten

Schwerpunkte Städtebau, Denkmalpflege, Innenarchitektur

Einer Ihrer Schwerpunkte ist das Bauen im Bestand. Welchen Reiz hat diese Bauaufgabe für Sie?

Unser städtisches Umfeld ist heute geprägt durch vorhandene Bausubstanz, der in der Mehrzahl aus der Zeit nach dem 2. Weltkrieg bis in die 1980er Jahre stammt. Ich erlebe es immer wieder als große Herausforderung, mich mit diesem Bestand auseinanderzusetzen. Dabei geht es um Themen wie Anlehnung oder Kontrast, Zurückhaltung oder Signal. „Bauen im Bestand“ ist dafür ein treffender Begriff, da er auch den Teilneubau mit einschließt; es handelt sich eben nicht nur um bloßes Sanieren vorhandener Substanz, sondern um intelligentes Bewerten und nachhaltiges Umstrukturieren. Und das kann auch einen Abbruch und Neubau bedeuten. Besonders spannend ist es, sich mit denkmalgeschützten Bauwerken zu beschäftigen, ihre Geschichte behutsam erlebbar zu machen und für kommende Generationen zu sichern. Im Rahmen des Projektes „Schule und Denkmal“, das vom Bayerischen Kultusministerium und der Bayerischen Architektenkammer gefördert wird, zeigen wir Schülerinnen und Schülern den Umgang mit historischer Bausubstanz.

Wie hat sich dieser Schwerpunkt ergeben?

Mein Großvater Fritz Schrammel hat das Büro direkt nach dem Krieg gegründet. Damals ging es natürlich in erster Linie um den Wiederaufbau. In den 1970er-Jahren gehörten wir dann schon zu den  Büros vor Ort, die im Bereich Denkmalpflege aktiv waren. Diese Tradition haben wir bis heute beibehalten.

Welche Herausforderungen stellen öffentliche Bauwerke?

Ein Bauwerk im urbanen Kontext, egal ob privat oder öffentlich, steht grundsätzlich im Blickfeld der Gesellschaft. Somit ist Architektur eigentlich immer öffentlich. Öffentliche Bauwerke sind reizvoll, weil ihre Realisierung durch vielerlei Meinungsbildungsprozesse begleitet wird und sich der Bau in einem breiten Dialog entwickelt. Hinzu kommen die Strukturen einer öffentlichen Verwaltung. Diese sind klar aufgebaut; Verwaltungswege scheinen zwar manchmal unverständlich und langwierig, dennoch sind sie zielgerichtet.

Was zeichnet einen modernen Firmensitz aus? Welche Ansprüche sollten Unternehmen für ihr Verwaltungsgebäude haben?

Ein Bauwerk stellt immer nur eine Hülle dar, die mit Leben gefüllt werden muss. Dieses Leben, also der Inhalt, sollte die Hülle bestimmen, Raum für Kreativität und Innovation bilden. Nur so findet ein Gebäude auch Akzeptanz. Die Arbeitswelt ändert sich permanent, ein Gebäude dagegen ist im wahrsten Sinn des Wortes statisch. Es müssen also Lösungen gefunden werden, die die internen Veränderungen ermöglichen und den Bedürfnissen der Nutzer Rechnung tragen.

Welche Philosophie verfolgen Sie in der Zusammenarbeit mit Ihren Bauherren?

Unser Ziel ist es, gemeinsam die beste Lösung zu finden: Dazu gehören die Berücksichtigung primärer Bauherrenwünsche wie Funktion, Geld und Zeit, aber mindestens genauso die gestalterische Qualität und Nachhaltigkeit. Diese weichen Faktoren bestimmen zunächst nicht das Handeln des Bauherrn. Ziel muss es aber sein, die „harten“ Faktoren zu erfüllen und dennoch ein gestalterisch sehr gutes Gebäude zu errichten.

Kommt es dennoch häufig vor, dass während der Bauphase noch Änderungswünsche auftreten?

Von Beginn einer Maßnahme bis zur Fertigstellung geht es eigentlich immer um das Ringen nach der optimalen Lösung. Das bedeutet Anpassungen bis zum Schluss. Planen und bauen heißt nach unserem Verständnis, permanent auf neue Herausforderungen zu reagieren und den Planungsprozess an neue Vorgaben anzupassen. Änderungen sollten aber auch vom Architekten selbst eingebracht werden, wenn es um die Optimierung in der Vergangenheit getroffener Festlegungen geht. Bei den heute sehr langen Entscheidungsphasen schreibt sich die Planung fort und macht Änderungen erforderlich. Jede Veränderung, die eine Verbesserung darstellt, sollte im Sinn einer Optimierung des Ergebnisses bis zum Abschluss der Baumaßnahme möglich sein.

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Wie ist das Thema Nachhaltigkeit im Bewusstsein der Bauherren verankert?

Über die Medien ist Nachhaltigkeit in aller Munde und für den Bauherren ein Thema, das zu vielen Fragen an seinen Architekten führt. Für den Planer ist es wichtig, den Bauherren umfassend aufzuklären und Möglichkeiten, Kosten sowie Nutzen aufzuzeigen, damit Entscheidungen nachhaltig getroffen werden können. Es darf nicht das Gefühl zurückbleiben, man hätte im Bereich Technik, Energie oder Materialien eine bessere Lösung finden können. Nachhaltigkeit wird letztlich aber auch gemessen am Verhältnis der Kosten zum Nutzen.

Wie lassen sich Gebäude besonders energieeffizient gestalten?

Die vielen in den letzten Jahren erfolgten Standard-Sanierungen haben ein erhöhtes Bewusstsein zur Energieeffizienz geschaffen. Auch das Thema Gestaltung gewinnt dabei glücklicherweise wieder mehr an Bedeutung. Energieeffizienz um jeden Preis wird dagegen inzwischen kritisch gesehen. Die sich häufenden Sanierungsfälle energetisch modernisierter Gebäude bewirken hier ein Umdenken.

Wie sieht eine moderne Wärmeversorgung aus?

Das ist immer im Einzelfall zu entscheiden, denn Gebäude und Haustechnik bedingen sich gegenseitig. Das macht unter anderem der von Prof. Hausladen (TU München) geprägte Begriff des „Clima-Design“ deutlich. Bereits von Beginn an sollten deshalb alle Planer gemeinsam den Entwurf voran bringen. Schließlich ist es beispielsweise wenig sinnvoll, eine vom Architekten geplante Glasfassade anschießend haustechnisch zu neutralisieren. Stattdessen führen intelligent vernetzte Ideen zu optimalen Lösungen für die jeweilige Situation. Ganz wichtig ist es dabei, den Nutzer im Blick zu behalten. Ein gutes Beispiel dafür ist die Lüftung: Denn um den gewünschten Effekt zu erzielen, muss auch die Bereitschaft vorhanden sein, das eigene Lüftungsverhalten an die neue Technologie anzupassen.

Welche Bauweise bietet das größte Zukunftspotenzial?

Das lässt sich nicht pauschal beantworten, zu individuell sind die Anforderungen wie Nutzung, Lage oder Kosten.

Welches Potenzial bieten Siegel und Zertifikate zum nachhaltigen Bauen?

Für den Laien sind die inzwischen zahlreichen Zertifizierungen und deren Wert kaum noch zu erfassen und zu ermessen. Es wäre fragwürdig, ein Gebäude ausschließlich auf die Kriterien eines Siegels hin zu entwickeln. Denn jedes einzelne Objekt folgt spezifischen Vorgaben und ist nicht in allen Details zu vergleichen. Problematisch finde ich außerdem, dass die Siegel von gewerblichen Investoren inzwischen immer häufiger genutzt werden, um das Objekt an Immobilienfonds verkaufen zu können. Architektur wird so immer mehr unter dem Aspekt der Rentabilität und weniger aus der Perspektive der Nutzer geplant.

Welche Tendenzen sehen Sie bei der Innenraumgestaltung von Gebäuden?

Gerade die Innenarchitektur ist stark von den Materialien und Farbkarten geprägt, die die Industrie vorgibt. Das alles unterliegt auch den Moden der jeweiligen Zeit. Auf gedämpfte zurückhaltende Töne folgten die lauten Kontraste mit klaren Farben. Von derartigen Moden und Tendenzen versuchen wir uns weitestgehend frei zu machen. Wenn möglich, entwickeln wir auch eigene Texturen und Muster beispielsweise für Bodenbeläge.  Starken Einfluss auf die Innenarchitektur und ein großes Zukunftspotenzial bietet die LED-Technik; hier kann man sicher noch viel erwarten.

Welche Anforderungen stellt der Brandschutz?

Kaum ein anderes Thema beeinflusst unser Bauen derzeit so stark wie der Brandschutz. Den Anforderungen begegnet man am besten dadurch, dass bereits bei Beginn der Planung, also schon im Entwurfsprozess, ein Brandschutzplaner hinzugezogen wird. Bei der Auswahl des Planers ist auf dessen Flexibilität und Erfahrung zu achten. Denn dann können die anfangs nach Vorschriftenlage schier unlösbar erscheinenden Probleme gelöst und kreativ durch Ersatzmaßnahmen kompensiert werden.

In welchen Bereichen sollten Bauherren auf keinen Fall sparen?

Nicht gespart werden sollte an einer ausreichenden Vorbereitung des Bauvorhabens. Dem Planungsprozess sollte mehr Zeit gegeben werden, dazu gehört auch die frühzeitige Einbeziehung aller erforderlichen Fachingenieure. Gerade so lassen sich die Qualität, und dann auch die Kosten optimieren. Bei Betrachtung der Lebensdauer eines Gebäudes sollte die ausreichende Vorbereitung im Vorfeld nicht daran scheitern, dass die Planung eventuell ein paar Monate mehr Zeit benötigt.

Wie lassen sich hochwertige Gestaltung und Bezahlbarkeit harmonisch vereinen?

Auch mit einfachsten Mitteln lässt sich ein gestalterisch überzeugendes Ergebnis erzielen. Das hat mit dem Budget zunächst nichts zu tun. Wenn ein Budget zu Beginn klar definiert ist, dann kann auch am Ende ein überzeugendes Ergebnis stehen. Schwierig wird es, wenn die Vorstellungen nicht klar kommuniziert wurden, wenn also ein Rolls Royce erwartet wird, aber nur der Fiat geliefert wird. Das ist dann ein Kommunikationsproblem.

Einer Ihrer Schwerpunkte ist das Thema Farbgestaltung. Welche Möglichkeiten bieten sich hier?

Farbe wird primär wahrgenommen und ist damit ein ganz wichtiges Gestaltungsmittel, das obendrein relativ preiswert ist. Das hat schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts der von mir sehr geschätzte Architekt Bruno Taut erkannt. Wird Farbe gezielt eingesetzt, dann lässt sich damit immer eine Steigerung der Architektur erzielen.


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